Öszan Saraç
«Space and Time»
The performance is placed in a theatrical setting: a back box, a clock strapped to a mic stand, a spotlit chair. We see a serious young man entering the stage, he sits down with his back to the audience. He announces the start of the performance and continues to announce the passing of time: 5 seconds, 10 seconds, 15 seconds – you get the idea. The performance ends with him announcing its end and leaving the stage.
Initially, the performance plays with a palpable tension (will he make a mistake, how long is this going to go on etc) but soon there’s a suspicion that this is all a bit too much and yet not enough: Big topics (space and time) combined with big gestures (conceptual reduction) which leave you wishing for another entry point, an added level of complexity.
Öszan Saraç’s simple idea would have profited from a simple, more everyday setting, which might also have taken it out of it’s historic minimal performance context. Imagine the same procedure happening in a cafe, a man announcing a performance, counting the seconds on his watch – I’d like to see 100 different versions of this performance
Monika Iseli
«Wie der Wind chunt cho blase»
Aneinanderreichung von Nachrichten. Damit das Klopapier weitläufig fällt, steht sie dazu auf einem Stuhl. Diese Ausgangslage ist zuerst einmal zu loben, denn eine Performance, die außer einem Stuhl und einer Rolle Klopapier nichts braucht (keinen aufwändigen Technik Aufbau, keinen speziellen Raum, kein großes Budget) ist eine kluge Entscheidung. Besonders wenn die Performance als Teil eines Performancemarathons gezeigt wird, in dem ganz schnell ganz viel aufeinander folgen muss.
Leider bleibt es nun nicht beim informativen Klopapierabrollen. Was erst noch als eine sympathisch und leichte, wenn auch stark symbolische Übung gesehen werden kann, entwickelt sich zu einem kleinen Theaterstückchen. Müdes Lächeln, langsames Material bearbeiten, zaghafte Einbindung des Publikums und ein Gespräch am Telefon dehnen die Performance aus. Als geglücktesten unter diesen Fortsätzen ist noch das Telefongespräch zu nennen, auch wenn es schauspielerisch dargebracht wurde. So ein bisschen Alltagssprache und Themen tun gut.
Ein beherzt gesungenes Liedchen am Schluß, welches der Performance auch den Titel gibt, rundet flott ab.
Aline Stalder und Chris Handberg
«Besame Mucho»
Diese Performance haben wohl wenige mitbekommen, obwohl intelligenterweise sehr deutlich mit einer roten Klebebandspur der Weg zu ihr gewiesen wird. Wer der Spur nachgeht, landet im Keller und schaut in ein Loch, in dem durch UV Licht angeleuchtete Watte zu sehen ist, plus zwei Performer_innen, in schwarz gekleidert, barfuß. Es wird totgespielt, gesummt, sich in der Watte herumgewälzt und lustigerweise ist auch etwas sexy Aktion dabei, ein gegenseitiges ab- und zugreifen, durcheinander durchkriechen, aufeinander liegen, schweres Atmen. Wer es wagt nahe ans Guckloch zu sitzen, wird mit dramatischen Gesten belohnt, Watte fliegt, Brustbeine werden geklopft, Hände strecken sich. Ich hoffe auf mehr, aber die Kleider bleiben an den Körpern.
Die meisten Zuschauer spähen nur kurz ins Loch und machen sich dann wieder auf den Weg nach oben.
Julie Bärz
«Ein Polyamorie Manifest»
Es ist sicherlich nicht leicht, nach einem Reenactment von Annie Sprinkles’ «study 7» auf dem Programm zu stehen. Denn es gibt wenig, was einem heiteren Tittenballet das Wasser reichen oder gar in Würde folgen kann. Warum Julie Bärs Performance als nächste programmiert wurde, bleibt mir ein Rätsel. Vielleicht dachten die Organisatoren: “Beide ham was mit Sex zu tun, mach mer erst die lustige und dann die seriöse.”
Die Performerin, verkleidet in einer Art queer-bondage-warrior outfit, erklärt zu Beginn mit zarter Stimme, dass Monogamie ein Mythos sei. Was folgt ist eine Aufruf zu einem öffentlichen Bekennen, dem zunächste nur Eingeweihte folgen. Das Publikum wird angeleitet, einen Kreidekreis zu ziehen, in ihn zu sitzen und einen Absatz des Polyamorie Manifestes zu lesen. Danach wird ein Armband als Belohnung und identitätsstiftendes Merkmal verliehen. So in etwa stelle ich mir die Initiationszeremonie bei den Zeugen Jehovas vor denke ich und muss lachen, was mir aber sofort vergeht, denn mit strenger Stimme fragt die Performerin wer als nächstes vorlesen möchte.
Diese Partizipationsprozessur zieht sich nun zähe dahin und baut nur kurz einen Spannungsmoment auf, als ein Mädchen sich meldet (wohl eher weil sie gerne laut lesen will, oder vielleicht unterschätze ich auch den emanzipatorischen Aktivismus von heutigen 12jährigen). Die klare Kinderstimme, die über die sperrigen Textbausteine des Manifestes stolpert, ist das Highlight der Performance. Zum Schluß finden sich keine Polyamoriebekenner mehr, die Performerin liest die letzten Paragraphen selbst und alle sind erleichtert. Sogar einige Kreisekreise haben sich überschnitten, die Venndiagrammästhetik funktioniert.
Es ist nicht zusehr diese platte Symbolik oder die didaktisch-pädagogischen Aspekte der Performance, welche mir die Lust an der Polyamorie verleiden. Vielmehr ist es die Entmündigung des Publikums, das als fleischgewordener Beweis abstrakter Thesen benutzt wird. Da diese Thesen zu Beginn nicht einmal richtig einsehbar sind, kann eigentlich niemand so recht wissen, wozu er sich bekennt und in den Kreidekreis setzt – das Publikum genug Zeit gebraucht um das Manifest zumindest einmal durchzulesen.
Nun sind dies alles Student_innen Performances und solche formalen Fehler dürfen sein. Es ist auch mutig, politische Überzeugungen so direkt in der eigenen Arbeit verhandeln zu wollen. Nur hatte ich den Eindruck, dass Julie Bärz mit der Art wie sie dies angeht, sich selbst und der Polyamorie keinen Gefallen tut. Durch diese Performance wirkt Polyamorie wie eine Option für sozialen Ausschluss und Sektenbildung, nicht als eine lebensbejahende, kritsche, persönliche Entscheidungsmöglichkeit. Zudem erhalten Manifeste ihre Relevant und Wirkung nicht dadurch, dass sie in dunklen Kellern von Glaubensgeschwistern abgelesen werden. Diese Performance muss raus, raus aus dem Kunstkontext, raus aus der black box, raus aus der moralischen Überlegenheit und rein ins Leben, in die Eifersuchtsdiskussionen, in den Sexunterricht an Schulen, in das komplexe Chaos, das einsetzt, wenn man nicht an Monogamie glaubt.
Weg nach oben.
Erstpublikation aller Texte auf
9 http://www.act-perform.net/2015/basel