Monika Dillier:Unser Leben mit der Narration
Monika Dillier schreibt nach der Performance «Spoken Doc» von Chris Regn und Andrea Saemann am Samstag 10.1.2015 zum Jubiläumsjahr im Kaskadenkondensator, Projektraum für aktuelle Kunst und Performance in Basel.
Der Kaskadenkondensator wirkt belebt. Die raumtrennende Wand zwischen der linken und rechten Raumhälfte bearbeitet. Auf der linken Seite beschrieben von links nach rechts und von oben nach unten. Auch der Eisenpfeiler muss herhalten als Schriftträger. Eingeteilt in die Jahre von 2004 – 2014. Und diese thematisch sortiert und beschrieben. Einige Begriffe erinnere ich, nicht alle, z. B. Stemmen, Leichtigkeit, Loch, Stützen, Verkörperung, Tanz, Zulassen und so fort. Darunter viele Namen und Ereignisse.
Alles dicht beschrieben, die ganze Wand. Es ist eine Zeichnung.
Davor liegt auf einem Stehpult ein Ordner, am Boden mehrere Exemplare des Buches über die vorletzten 10 Jahre des Kaskadenkondensators. Die Rückseite der Wand: weiss, nichts als weiss. Davor am Boden liegend beschriftete, verschieden große Kuben und Objekte. Arbeitsmaterial für die Performerinnen und Stühle für das Publikum.
Chris Regn begrüßt, wir stehen um Chris und Andrea Saemann im mittleren Raumteil. Chris siebt Mehl auf den Boden und Andrea schreibt mit dem Finger in die Mehlhäufchen den Titel der Veranstaltung im Halbrund: «Unser Leben mit der Narration». Manchmal fällt Mehl auf ihre Hand. Dann werden wir zu den Stühlen gebeten.
Andrea tritt in Aktion. Mit einer rosa und einer grünen Kreide schreibt, zeichnet sie auf die Wand. Die dritte Farbe welche sie benutzt erinnere ich nicht mehr. Mit großen Bewegungen und grosser Anstrengung entwirft sie Bilder der Kaskogeschichte von 2004 – 2014. Die Anstrengung kommt einerseits davon, dass die Kreide nicht gut haftet und anderseits vom riesigen Wust an Personen und Material, welche diese Chronik ausmachen. Es ist also gleichzeitig eine physische Anstrengung und eine mentale. Sie erzählt nach vorne und zurück, rauf und runter, manchmal vergisst sie etwas, dann hilft ihr Chris weiter, die etwas außerhalb des Geschehens steht und mitdenkt. Die Geschichtsschreibung verläuft nicht linear und beschreibt verschiedene Ebenen. Die grünen unteren Linien betreffen eher Organisation und Planung, weiter oben mehr die inhaltlichen Bestrebungen in Rosa. Die Performance spielt eine grosse Rolle in diesen Jahren. Archiv Performativ und Dock, die Dokustelle der Basler KünstlerInnen, nimmt in diesen Jahren Form an. Irgendwann greift Andrea zu den Notizen, die beim Fenster hängen. Sie braucht sie als Erinnerungshilfe. Das Lodypop mit Lena Eriksson hatte sie vergessen. Chris schaut ab und zu in Andreas berühmte Heftnotizen, um sich zu vergewissern wie es denn weiter geht. Dieses Vorbeiziehen der Jahre an uns ZuschauerInnen, diese Korrekturen, dieses sich Erinnern an die verschiedenen Menschen, Strukturen, Gefäße, die den Kasko der letzten zehn Jahre ausmachten, bewirken, dass die Geschichte mit großer Intensität vermittelt wird.
Dann sagt Andrea zu Chris: «Jetzt bist Du dran.» Sie murmelt vor sich hin: «Ist doch schon alles gesagt.» Aber steigt dann doch ein, bewegt sich im Zeitraum, wo der Kasko von ihr, Chris Regn, übernommen wird, erzählt von Stimmungen, von der «Planke» und ihrer Freude, dass sie mit «Dr. Kuckucks Labrador» junge Menschen dabei hat, die sich zum Kasko zugehörig fühlen, trotzdem aber das eigene Ding durchziehen. Zum Kulminationspunkt werden die herumstehenden Objekte mit verschiedenen Beschriftungen von beiden in Richtung Raummitte gestoßen. Dabei werden die, die jetzt nicht mehr zum Kasko gehören, z.B. das Dock, nach außen spediert. Grosse Aufregung. Der Rest bleibt als Hülle, Körper im Raum liegen.
Dann Ortswechsel der Zuschauerinnen, wir setzen uns vor die große Wand-Schrift-Zeichnung. Jeder Jahresabschnitt ist extra bezeichnet mit rotem Faden, der von der Decke bis zum Boden hängt. Andrea erzählt erneut, daran erinnere ich mich sehr ungenau. Sie platziert sich vor dem großen Loch, also vor der Zeit, wo viel an Erinnerung verloren ging, wo man nicht mehr genau weiss, welches die wichtigen Ereignisse waren. Dann werden zu den einzelnen Jahresabschnitten Teilnehmer aus dem Publikum, die in dem jeweiligen Abschnitt involviert waren, gebeten hervorzutreten und zum jeweiligen Jahresmotto eine skulpturale Gestalt mit ihren Körpern zu bilden. Zum Schluss stellen Chris und Andrea nochmal diese Begriffe körperlich dar, etwas weniger amorph als es bei den Betroffenen aus dem Publikum zustande kam.
Für mich zerfiel die Performance in zwei Teile. Im ersten Teil, bis zum Verschieben der Quader, gab es viel Freiheit, körperliche Präsenz und eine ausgeklügelte Perspektive auf die Geschichte des Ausstellungsraumes. Im zweiten Teil hatte ich das Gefühl, sie wollten der Sache so gerecht wie nur möglich werden und dabei wurde Vieles atomisiert. Ich hätte mir gewünscht, dass sie der Zeichnung mehr vertrauten und sie so zur lebendigen Geschichte verwandelten.