Maya Minder: Dancing for the Revolution
Maya Minder schreibt nach der Performance «Dancing for the Revolution» von Pauline Boudry und Werner Hirsch am Samstag 7.11.2015 anlässlich des Performance Abends «Portrait of an Eye» kuratiert von Daniel Baumann und Julia Moritz in der Kunsthalle Zürich.
Die Frage, was wäre, wenn wir unabhängig von unserem biologischen oder gender Geschlecht frei durch die Welt schreiten würden? So auf jeden Fall erweckt dies die Welt von Pauline Boudry und Renate Lorenz in der Ausstellung «Portrait of an Eye» am gleichnamigen Performance Abend.
In der Videoinstallation «Opaque» von 2014 wird einem wiederholt klar vor Augen gestellt, dass Gender etwas gesellschaftlich Verhandelbares ist und dass auch wir, die mit Genderbewusstsein leben, ständig auf selbst konstruierte Wände stossen, die es zu durchbrechen gilt.
Die kollaborative Performance «Dancing for the Revolution» von Pauline Boudry und Werner Hirsch war bezeichnend. Die Performance bestand lediglich aus einem gestischen Tanz von Werner Hirsch und einer live Vertonung mit Synthesizer von Pauline Boudry. Man hatte Mühe die zwei Ebenen als ein Ganzes zusammenzubringen, so dass sie antagonistisch auseinander klafften. Werner Hirschs Tanzvorführung erinnerte an ein Ballett der Freischwimmer und an Körperbewegungen aus den 1900er Jahren und Paulines Synthesizer Musik liess uns an die minimalistische Musik eines Steve Reich oder Charlemagne Palestine denken. Ein Clash zweier Zeitepochen, gar zweier Zeitalter; die Reform der Körperkultur der 1900er Jahre kombiniert mit dem Beginn des elektronischen Zeitalters an der Wende unseres Jahrtausends.
Frau Werner, nicht ganz so stark als Frau erkennbar, gelang die Verwandlung fast einwandfrei und wäre es nicht unser eigenes Bewusstsein im queerpolitischen Rahmen der Veranstaltung, wäre ihm die Camouflage wohl vollends gelungen. Einzig und allein die rot lackierten Nägel erinnerten an weibliche Attribute, die so niedlich und intim zur Jungburschenkleidung passten. Die Gesten des Tanzes erinnerten an einen leicht beklommenen Versuch, Ballett aus dem Fernsehen nachzutanzen, bis man sich dann leicht tänzelnd erinnert, dass diese wohl auf Gesten eines deutschen Ausdrucktanzes aus der Freiluftbewegungs- und Körperkultur der 1900er Jahre deuten.
In Kombination mit dem elektronischen Live-Set von Pauline Boudry und durch die Triade mit dem Titel treten Assoziationen auf, dass hier zwei der wichtigsten Revolutionen der letzten 100 Jahre angesprochen werden. Die Befreiung des weiblichen Körpers aus dem Korsett und somit erste feministische Bewegungen in der westlichen Moderne und als zweites die digitale Revolution, deren Auswirkung auf das Subjekt bis dato noch in Verhandlung steckt. Dies vielleicht, um die Befreiung eines materialistisch konstruierten individuellen Subjektes anzudeuten.
Man könnte noch weiter spinnen und auf die indirekte Revolution der Rave Bewegung der 1990er Jahre hinweisen. Eine Revolution, die keine war und die doch dazu führte, dass nach einem Ende der Geschichte (nach Fukuyamas Text, 1992) Massenbewegungen von Menschen wieder möglich und Realität waren. Zwar ohne vordergründig politische Anliegen, aber mit dem geltend machenden Recht, dem eigenen Hedonismus und Trance durch elektronische Musik, Drogen und Tanz zu huldigen. Die Entwicklung der Synthesizers in den 60er und 70er Jahre führte damals zu einer Wahrnehmungsveränderung in einem kleinen, elitären Kreise von Musikern und Künstlern, die dann vollends durch die Rave Bewegung massentauglich gemacht wurde.
Die Performance als Teil der Ausstellung von Renate Lorenz und Pauline Boudry weist vielleicht auf eine Revolution der eigenen Subjektwahrnehmung hin, die durch eine lange Kette historisch eingeleiteter Prozesse, sich bis heute als stille Revolution in der Gesellschaft zu sedimentieren beginnt. Ganz grundsätzlich sind ihre Arbeiten ein Kaleidoskop von historischen Referenzen auf politische Ereignisse, die man vielleicht nicht alleine, doch durch kollektive Rezeption ausfindig machen kann.
Pauline Boudry/Werner Hirsch:Performance «Dancing for the Revolution», ca. 8 min.anlässlich: Pauline Boudry/Renate Lorenz, Ausstellung und Performance Abend «Portrait of an Eye», 29.08.-08.11.2015, Kunsthalle Zürich
Maya Minder, Künstlerin/Kuratorin/Kunsthistorikerin, 8005 Zürichmayaminder@yahoo.com