Irena Kulka:Think on a Whim
Irena Kulka schreibt nach dem Performanceabend «Think on a Whim» mit Performances von Joëlle Valterio, Franziska Bieri und Monica Klingler am Sonntag 22.2.2015 anlässlich der monatlichen Performance-Plattform «Unwrap The Present» kuratiert von Joëlle Valterio im PROGR – Zentrum für Kulturproduktion Bern.
Joëlle Valterio
An der Wand das Publikum. Am roten Tisch Joëlle. Joëlle an ihrem roten Tisch. Wir gegenüber. Dazwischen der Raum, die Spannung , die Erwartung. Sie kleidet ihren Körper um, sitzt, um zu beginnen. Noch ist der Raum leer. Das Heft? Die rote Kappe? Werkzeug? Mit einem Sprung in eine fast private Sprache legt sie den Start offen. Verbreitet, was sie vorbereitet hat: ihren neuen Einstieg in ein unvorbereitetes Sprechen. Die Poesie, ihre vertraute Sprache, die sie später nennt, will sie jetzt nicht sprechen. Nichts von dort nach dort. Sie will in eine dünnere, noch jetzigere Sprache ohne Vorwand: in ihre nackte, unvoreingenommene, unbedingte Sprache. Minuten spricht sie, indem sie wartet, atemlos, sucht, sprachlos – das, was nicht vorbereitet kommt, unbeschreiblich, zu nennen – ohne zu sagen, was da war – was nicht kommt, sagt sie. Darauf hat sie sich vorbereitet. Daneben das Notizbuch. Plan B. Sie bezeichnet, aber erzählt sie nicht, die coolen Gedanken, die sie brachte, falls da nichts kommt, in dem markierten Moment, den sie ausleert zwischen uns. Empathie und Erwartung. Der Einfall fehlt, sich zu entspannen. Da ist kein Grund. Der leere Raum, die Badekappe da, da ist für Momente kein Boden. Wir warten mit ihr, hören nicht auf zu warten, erwarten. Fünf Minuten.Sie will wirklich etwas sagen durch das andere Sprechen. Breitet die Innenansicht ihres Sprechens aus, die inneren Ohren offen, der Geist offen, den sie nur beschreibt: Es ist jetzt gerade nichts. Das lässt gerade keine Gedanken zu. Zuviele Gedanken auf einmal gestaut. Weisses Rauschen nennt sie das später. Fluchtwege aus diesem Rauschen will sie nicht nehmen, verharrt, in ihrem Forschungsraum. Ihre fast alltägliche Intimität schafft gleichzeitig auch eine Distanz und Spannung in diesem performativen Rahmen – eine nicht-alltägliche Transparenz.Eintauchen. Mit dem Kopf in die Badekappe. Unter der Badekappe hört sie nichts. Das ist was sie sagt. Hände tasten um den Kopf: die Undurchdringlichkeit der Badekappe, Badewatte. Die Maske, die Materie, das Maul. Der Ort der schon gemachten Sprache. Nur ihr Mund beginnt, nur nicht zu sprechen, nur von einem Ausgangspunkt im Mund auszugehen. Eine Mimik vom Sprechen ohne Sprache. Nur Maske. Nur Materie. Nur Artikulation. Ein schräger Impuls auf dem Trottinett des Körpers. Nimmt uns auf eine kleine Reise mit. Legt den Kopf ab. Fällt ihr selbst ab. Der Kopf rollt über den Tisch hin und her. Radiert über den Tisch die Bahn zu uns – dann quer. Wir lauschen mit ihr die Geräusche innerhalb der Badekappe, die aussen über den Tisch quietschen. Verstärkt in unseren geistigen Ohren. Unhörbarkeit, ziemlich laut.Unwrap The Present: Der Anfang, Die Mittel, Das Ende. Im Abseits von Inhalten fühlen, im Dazwischen von Subjekten sein. Sprechen – Hören – Packen. Joëlle zerknüllt das Packpapier zu einem dichten Ball und breitet es aus. Schlägt die zerknitterte Verpackung um den Kopf als neue Hülle, Maske und Gesicht. Ein erneuter Kopf. Einen Moment lang steht die Form noch ab, schwebt wie ein Atem. Sie schnürt die Hülle fest, atmet, atmet noch? Ein immer fremdes Wesen schraubt sich die hohle Hülle wie einen eigenen Kopf ab.
Franziska Bieri
Franziska setzt uns in eine Reihe. Soll ich ein Foto machen? Sie sitzt mit uns. Ich stehe also nicht auf. Starren in den leeren Performanceraum, die Manege des Lebens. «Man könnte so viel machen.» Ich fühle mich peinlich verklemmt, sitze da als blindes Huhn mit Touristenbrille in der Reihe der Performerinnen. Die vielen Leben in der Performance. Der Platz und die Manege des Lebens. Und sie fordert uns auf. Sternschnuppenfragen die nicht ganz ankommen. Meine Präsenz schwankt ausgelenkt, etwas ausser Fassung durch diesen Moment. Unten, tief.Ein Hauch von Aufladung im Kopf während der Geist als Zaungast mit dem Körper sitzt: Welcher Raum – was könnte hier geschehen, was sollte hier geschehen – was davon könnte, kann ich jetzt machen – und wie? Sie lässt uns nicht lange im Scheinwerferlicht schmoren. Der Moment ist schon vorbei. Die Zeit ist schon vorbei. Symbolisch und auch allzugleich werfen wir die dunklen Brillen ab. Einfach genauso wie die anderen. Blind, naiv, vertrauend, erleichtert. Und in dem Moment dieses veränderte Licht: eine sinnliche Helligkeit, Leichtigkeit, die berührt.
Monica Klingler
Wie viele Räume hat sie schon bewegt. Wieviele Räume sind durch sie gegangen. Sie stellt sich in den Gang. Eine Frau aus dem Wald. Eine Menschenfigur, viel näher am Land, viel näher am Stein, wie sie sagt . «Falten werfen wie die Erde.» Sie stellt sich in ein unordentliches Verhältnis mit den vorübergehenden Standorten und Ablagerungen der PROGR Ateliers, flankiert von Fasnachtsaffen, blauen Ablagen und bunten Werken, von Werkstattnachbarn, welche die Performerin lange nicht bemerken. Ihr Auftauchen in dieser Situation scheint allmählich, abgewandt. Hält den Raum. Warum bewegt sie sich? Sie spielt mit dem Körpergefühl, inneren Schwingungen, Rhythmen, die vielmehr im Raum wahrnehmbar werden und sich in den Raum erstrecken als durch die Zeit. Sie dehnt sich aus, gibt dem Bewusstsein einen Raum. Erst aus der langen Stille zieht sie vielleicht eine Form.Soll man es denn noch Körperraum und Körperbewusstsein nennen? «Skulptural» nennt sie es. Doch nicht als figürliche Skulptur wird dies sichtbar, sondern als Raum, in dem sie schwebt. Das Auge hat keinen Halt in ihrer Haltung. Sie fliesst ruhig, scheinbar ohne Anspannung, verschwimmt, lässt da und dort etwas in feinsten, sensiblen Artikulationen spriessen. Es gibt kaum etwas wie Ausdruck in der Gestalt, nur dieses Fliessen, welches abstrakt differenzierte Räume wie die Witterungen in die Weite zieht. Gestaltet Sie? Formt sie noch? Sie will weg vom Subjekt, meint sie dazu – sie geht den Weg eines anderen Seins im Körper und im Geist.Der Angelus Novus kommt mir in den Sinn. Nicht einer der in den Trümmern vom Paradieswind fortgeweht wird, sondern er kommt neu an, als einer, der die Trümmer der Zerstörung auch in der Verbindung zum Paradies erkennt. Monica hat die Trümmer verlassen. Sie fliegt. Ihre Gestalt ist riesig und gefüllt von einer anderen Welt.Dass sie mit blau lackierten Fingernägeln tanzt, diese kapriziöse Anwandlung habe ich übersehen. Ich sah sie sprühen. Ein plötzlicher Impuls. Sur un coup de tête, sagt sie.
«Unwrap The Present» ist eine monatliche Performance-Plattform und Werkstatt im PROGR Bern, veranstaltet von Joëlle Valterio. http://unwrapthepresent.blogspot.ch/