Dorothea Rust schreibt nach der Dance Performance «première» von Maria Hassabi am Freitag 5.12.2014 anlässlich des Festivals für Aktionskunst BONE 17 kuratiert von Valerian Maly und Maya Bösch im Schlachthaus Theater Bern.
Das Tor rückseitig des Schlachthaus-Theaters wird geöffnet, wir strömen von hinten direkt auf die offene Bühne. Grelles Licht und fünf Menschen, vier jung, einer älter stehen, liegen oder sitzen auf dem Boden – ‚motionless’ in grelles Licht getaucht; jeder Winkel der Bühnenfläche, jede Kleider- und Hautfalte wird ausgeleuchtet. Ist hier die gesamte Lichtapparatur des Schlachthauses herausgeholt und aufgedockt worden, mit unzähligen, verschieden grossen Scheinwerfertypen? Ein anderes Klima herrscht hier drinnen, als in der nebelkalten Nacht draussen, wo wir gewartet haben. Dann beim Queren des aufgeheizten Bühnenraumes, wir die Zuschauer/innen «normal gehend» aus dem Alltag hereingeplatzt und die Performer/innen angehalten im lichtgefluteten Raum, befinden wir uns zusammen in einem 3D-Film. Den Tiefeneindruck nehmen wir mit auf die durch die Wucht des Bühnen-Lichts aufgehellten Zuschauerränge. Die still-stumme Anwesenheit der fünf Performer/innen weist uns auf die Plätze in den Zuschauerrängen. Und weil sie unbewegt da sind, treten Unebenheiten hervor: eine aufgenähte Stofftasche am blauen Jeans-Hemd der einen Tänzerin und am sandgestrahlt farbenen der Anderen ein aufgenähtes Stoffband.Das Tor, durch das wir hereingekommen sind, ist inzwischen geschlossen. Es wird uns kein Theaterraum gezeigt – hier befinden wir uns im Messe-Ausstellungsraum, gerade wird der Beleuchtungscheck für alle Scheinwerfer gemacht. Oder im Laborraum, ausgestattet mit Wärmelampen, die das Wachstum von vegetativen und belebten Wesen steuern. Ich ahne, was hier vorbereitet oder ausgebrütet wird: Keine abrupten Bewegungen werden vorgeführt werden und die bereits schon angehaltene Komposition auf der Bühnenfläche wird sich in der Zeit gedehnt verändern.
Im Modus des Abdrückens beim Fotografieren, gleiten Bewegungen durch Stadien, schieben sich unmerklich in Posen. Längeres Halten, Verweilen, Bleiben. Da winkelt ein Fuss aus dem Gelenk scharf in eine Richtung, nimmt das Bein mit und dreht auch noch den ganzen Körper. Die Rotation wird nicht zu Ende geführt, mitten im Ablauf angehalten, um später unvermittelt – genau da wieder aufgenommen – in eine andere Richtung umzulenken. Die Veränderungen sind meistens subtil. Es gibt keine dialogischen Kontakt zwischen den Performer/innen, die Blicke gehen aneinander vorbei, auch an den Zuschauern/innen. Nur der ältere Mann der Truppe blickt unvermittelt und lächelt einzelne Zuschauer/innen an, wird momentan zum Fremdling im Setting. Die Frau in der hellblauen Jeans-Bekleidung mit markanten Gesichtszügen zeigt die Entschlossenheit einer Flamenco-Tänzerin. Alltägliche Bekleidung, Hosen und Oberteil sind farblich abgestimmt, alle tragen sie schwarze Schuhe und die Performer/innen haben je ihr eigenes Vokabular, sind auf eigenen Pfaden unterwegs. Der Plan, die Erfahrung hält sie zusammen. Sind die Veränderungen in der Zeit dem Atemrhythmus entsprechend an alte Meditationstechniken angelehnt? Wo nur der Atem gilt? Zeitrahmen und Bewegungsabläufe so aufzudröseln und zu portionieren, dass sie zu einem einzigen Zustand werden? Wieviel ist abgemacht, wieviel Improvisation?
Be-Weg-ungs-Überschneidungen, wenn der eine Fuss, der Tänzerin in weinrosaroter Hosen-Oberteil-Bekleidung sich so weit nach vorne vom anderen Bein wegschiebt, dass sie plötzlich buchstäblich zwischen ihren Beinen hängt. Hier wird die Choreografie zum Zustand und zur Willensbekundung, zum Kraftakt gegen den Widerstand der Schwerkraft. Wenn sie sich in einem normalen Zeitmodus bewegen würde, wäre das kein Problem, es wäre ein Hinüberwischen, sich so zwischen die Beine auf den Boden zu setzen schnell ausgeführt und erledigt. Aber gerade so …?
Wir schauen aus den Zuschauerrängen nicht auf ein Werk, wir gehören zum Setting, hier wird die gemeinsam geteilte Zeit zur Performerin: Ich als Zuschauerin spüre das Auf- und Abebben meines Atems, er passt sich den Bewegungen der Performer/innen an, ich bin auf Sparflamme. Wie die Tänzer verschiebe ich die Füsse am Boden, wie sie verändere ich die Lage meiner Arme oder drehe den Kopf langsamer zur Seite, um die Mit-Zuschauer/innen zu beobachten. Sachte, stockend gleitend schiebe ich meine Hand in den Rucksack, fingere nach meinem Mobile, senke den Kopf und blicke auf den Screen meines Telefons, drücke die Tasten, um zu sehen, ob es abgeschaltet ist. Auch die Augen bewegen sich langsamer.
Ich habe nicht mitgeschrieben, weil Schreiben eine zu heftige Aktivität, eine Störung gewesen wäre. Deshalb ist das hier Geschriebene aus der Erinnerung zusammengeklaubt. Es gibt einen Unterschied zwischen sich an den körperlichen Zustand zu erinnern im Dort-Sein am Abend des 3. Dezembers und aus der Erinnerung, heute am 12. Dezember im Schreiben Sätze zu konturieren.
Ich erinnere mich an ein Geräusch: vielleicht nach ca. 15 Minuten fängt ein Scheinwerfer an zu knistern. Brennt er und wo ist der Ausgang, wo sind die Feuerlöscher? Dann geht das Geräusch wieder weg und setzt später noch einmal ein und ist nun bewusst gesetzt. Und an andere Geräusche, an die ich mich nicht mehr genau erinnern kann und die in keinen ursächlichen Bezug zum Geschehen im Raum treten. Und an ein angesetztes Lied, «für sich» aus dem Off gesungen.Das Licht fiel einmal aus, es kollabierte buchstäblich. Zusammenbruch des Systems? Gut möglich bei dieser Lichtbeschallung. Gehört diese Irritation zum Konzept, ist nun Schluss oder geht es weiter? Es geht weiter. Dann dimmt es noch einmal fast ins Dunkel und hellt wieder auf ins Grelle. Der Moment des Nicht-Wissens-Woran-Wir-Sind, was künstlerischer Wille, was Zufall, was Möglichkeit zum Zufall und Zusammenfall ist.
Die Anfangskomposition hat sich auf der Netzhaut des Gedächtnisses eingebrannt, wegen dem grellen Licht. Schieben Anfang und Ende das Ganze in eine Symmetrie? Also doch eine Abrundung? Waren die Performer/innen am Anfang eher zum rückseitigen Tor gewendet alle nebeneinander, schauen sie jetzt allesamt ins Publikum und sind wieder nebeneinander.
Die Komposition ist eine Vision und ein Zustand, der sich vor unseren Augen ausbreitet, sich auf uns Zuschauer/innen überträgt und so Kontrolle ausübt. Sie zeigt Wille zur Gestaltung mit Hang zu Vollendung und Beherrschung. Ein Bewegungsepos, eingetaucht in die Gänge und das Geflecht von Nervenverbindungen in einem isolierten Raum. Jeff Wall’s Bildkompositionen, jene von hinten belichteten und in der Beleuchtungskammer angehaltenen Inszenierungen kommen mir in den Sinn und schemenhaft noch andere x-mal vervielfachte Bilder aus Zeitung, Alltag. Warum mir auch Derek Jarman’s Caravaggio in den Sinn kommt? Weil er ein Vakuum füllt, weil sein Film meine Sinne anspringt und unmittelbar betroffen machen kann, was hier in «première» so nicht geschehen ist? Weit hergeholte Assoziationen und Empfindungen in diese zeitgedehnte Performance hinein-formuliert, fliegende Papierdrachen-Gedankenblasen, deren Schnüre in (m)ein Gewebe hineinwachsen? Verhält es sich vielleicht so: Blitzen in «première» auf neuronaler Ebene Momentaufnahmen aus einem kollektiven Bildgedächtnis auf… ?
4. Januar 2015Dorothea Rust (Autorin, Künstlerin, 8003 Zürich)rust.doro@bluewin.ch, www.dorothearust.ch
Dance Performance: Maria Hassabi (US/GR) «première» 2014Performers: Biba Bell, Hristoula Harakas, Robert Steijn, Andros Zins-Browne, Maria HassabiSound Design: Alex WatermanLighting Design: Zack Tinkelman und Maria Hassabi